Pillepalle


Der Winter ist wieder purer Überlebenskampf. Jedenfalls für das starke Geschlecht. Unser Autor nimmt seine Erkältung an wie ein echter Mann


Der Sensenmann ist da. Ich sterbe. Nicht irgendwann. Jetzt! Die Energie sickert aus mir raus wie Wasser aus einer rostigen Gießkanne. Szenen meines bisherigen Lebens fliegen im Zeitraffer an mir vorbei. Mein Immunsystem ist kollabiert. Wurde geentert von pelzigen Viren. Hunderte, Tausende, Millionen. Mein letzter Wille: eine Seebestattung, bitte.

Und was bringt mir meine Frau? Homöopathische Globuli, die kleinen Schwestern von Placebo. Das ist, als wolltest du ein leckgeschlagenes Schiff mit einem Nudelsieb vor dem Untergang retten. Ich habe keine Menstruationsprobleme. Ich. Bin. Krank. Brauche wenigstens Antibiotika. Eher Morphium, hoch dosiert.

„Dann geh endlich zum Arzt!“ Die Stimme meiner besseren Hälfte, nur ein schwächer werdendes Echo in der Ferne. Gehört auf nur einem Ohr. Das andere: taub. Voranschreitendes Organversagen. Würde dir gern sagen, dass ich nicht aus dem Bett gehe. Nicht gehen kann. Schon gar nicht aus dem Haus. Aber meine Stimme ist dünner als die kalte Hühnerbrühe auf dem Nachttisch. Meine Zunge, höher belegt als ein Pastrami-Sandwich. Würg. Nicht an Essen denken. Denn das ist mal sicher: Wenn dir bei dem Gedanken an ein Steak vom Kobe-Rind nicht das Wasser im Mund zusammenläuft, sondern Magensäure nach oben schießt, kannst du nur todsterbenskrank sein. Oder Vegetarier.

Rolle mich seitlich aus dem Bett, richte mich langsam auf. Ein Prozess, der Naturgesetze in ihren Grundfesten erschüttert. Anders ausgedrückt: destillierter Überlebenswille. Das Hämmern in meinem Kopf spaltet mir den Schädel, ein Güterzug mit H. B. Baxxter am Steuer. Krame in der Medikamentenkiste. Risiken und Nebenwirkungen bla, bla, bla. Grüne Packung, toll. Pillen, groß wie Zäpfchen. Runter damit. Immer noch keine Besserung. Vater, der du bist im Himmel…

Ein Engel erscheint und legt sich zu mir. Meine Frau. Meine mich liebende Frau. In guten wie in schlechten Zeiten. Hast einen Platz gefunden, zwischen den Rotzfahnen und dem Selbstmitleid. Meine Haut wie in Aspik, aber du küsst mir die verschwitzte Stirn, streichelst mein fettiges Haar. „Bleib bei mir“, bringe ich mit letzter Kraft heraus. Bleib bei mir. Das tust du auch und machst Geräusche, als wolltest du einen angefahrenen Hund beruhigen. „Sch, sch. Sch, sch.“ Bin müde. So unendlich müde. Deine Stimme tut gut. Und deine Nähe. Vor allem die rührende Umarmung. Vielleicht werde ich den Tag doch überleben.

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