Mein Neustart
als Vater


Drei Jahre nachdem seine Beziehung in die Brüche ging, sagt Autor Björn Krause: Die Trennung war richtig, für uns alle. Sie hat mich zu einem besseren Vater gemacht. Ein ermutigender Bericht und eine Liebes-erklärung an seine Tochter


An ihren dritten Geburtstag wird sich meine Tochter vermutlich schon bald nicht mehr erinnern, ich dagegen werde ihn nie vergessen. Es war ihr erster als Trennungskind. Draußen roch es nach Zitronenkuchen. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich gebacken hatte. Zumindest die Dekoration war essbar, wie Ava fand, die mir zuvor geholfen hatte, den Teig zu kneten, die Schale zu reiben und die Schüssel auszulecken. Der Gemeinschaftsgarten vor meiner Wohnung war geschmückt mit Ballons und Girlanden, die Sonne schien, Vögel zwitscherten, Seifenblasen schwebten durch die Luft. Vom Kuchen waren nur noch wenige Stücke übrig, auf denen die Streusel abgekratzt waren, und Teile des Zuckergusses. Die Feier ging auf ihr Ende zu. Alle waren gekommen – Avas Omas und Opas, eine Tante, zwei Onkel, das Cousinchen, die Kinder von Freunden, aus der Kita und der Nachbarschaft. Und Avas Mutter. Ein Dreivierteljahr waren Anna und ich bereits kein Paar mehr.
  Wir standen nebeneinander und schauten zu, wie unser Mädchen in ihrem Kleidchen und auf dem Kopf eine selbst gebastelte Krone über die Wiese hüpfte und mit anderen Kindern Seifen- blasen jagte. Ava war glücklich. Keiner von uns sagte etwas, Anna und ich sahen einfach zu, und dann umarmten wir uns plötzlich. Nicht wie wir es aus Höflichkeit zur Begrüßung taten, oder zur Verabschiedung, sondern auf eine andere Art, eine be- sondere. Unsere Umarmung war so etwas wie ein stilles Statement, ein Bekenntnis füreinander. Nicht als Paar, für das es keine Zukunft mehr gibt, sondern als Eltern. Und Familie. In diesem Moment entstand ein Gefühl in mir, das ich nicht kannte und das es nach meinem Verständnis eigentlich auch gar nicht hätte geben dürfen. Ich war traurig, einerseits. Anderseits aber auch glücklich.


Wenn Ava da war, ging es mir besser

Ein Ende, heißt es, ist immer auch ein Anfang. Aber erzähl das mal jemandem, der nach zwölf Jahren sein Leben in Pappkartons vor der Brust aus dem Haus tragen musste, in dem seine Tochter sprechen und laufen gelernt hat. Drei Jahre ist das inzwischen her. Damals war die Trennung für mich kein Anfang, sondern nur das Ende.
  Gefühle überschwemmten mich: Trauer, Enttäuschung, mein schlechtes Gewissen, Zorn, Hilflosigkeit. Alles auf einmal. Ich saß in einer halb möblierten Wohnung, die Stunden und Tage zählend, weinte viel und überall, unkontrollierbar in der S-Bahn oder in Konferenzen und allein zu Hause bis zur völligen Erschöpfung. Ich entdeckte Netflix für mich, klassische Musik, Selbsthilfegruppen. Und irgendwann, viel später, auch so etwas wie den Glauben an einen neuen Anfang.
  Mir fiel es schwer, Ava gehen zu lassen, ob- wohl ich wusste, dass sie es in der Kita gut hatte, bei ihrer Mutter ohnehin. Aber zwischen Herz und Kopf gab es bei mir Frequenzstörungen. Ich hatte Ängste, kleinere und große. Mein Armageddon war die Vorstellung, Anna könne mir Ava wegnehmen wollen. Es gibt diese Geschichten, zu viele davon. Ein Drittel meines Lebens kannte ich diese Frau bereits, und ich dachte ernsthaft über ein solches Szenario nach. Ich war zerrissen, völlig verängstigt und überfordert. Für meine Tochter da sein, mit der Ex-Frau klarkommen und mich selbst dabei nicht zu verlieren war eine große Herausforderung.
  Wenn meine Tochter bei mir war, ging es mir besser, aber längst nicht gut. Ava war so etwas wie eine Erinnerung an eine Reise – wie eine Galionsfigur, die ein Schiff repräsentierte, das dem Unwetter nicht standgehalten hatte. Wir hatten die Orientierung verloren, und uns. Wie es eben passiert mit Paaren, die sich unterschiedlich schnell entwickeln und in verschiedene Richtungen fahren. Nun trieben zerborstene Wrackteile vor mir her, die Fragmente eines Konstrukts, das sich nie wieder so würde zusammenbauen lassen, wie es war. Nun war Anna die Ex-Frau, Ava das Trennungskind und ich der Alleinerziehende. Erziehend. Und allein.
  Wenn ich früher davon hörte, dass sich ein Vater nach einer Trennung auch von seinem Kind entfernte, war mir das unbegreiflich. Heute kenne ich zumindest die Kraft von Emotionen – Verzweiflung, Sorgen, Schwarze Löcher –, die einen in die falsche Richtung treiben lassen können. Mir vorzustellen, wie Ava zu einem Punkt am Horizont wird, bei jedem Schritt kleiner werdend, bis sie schließlich komplett verschwunden ist aus meinen Sichtfeld, meinem Leben, das fühlte sich an, als würde mir etwas Böses seine Faust in den Magen rammen und mir die Organe zerquetschen.
  Ich stellte mir viele Fragen. Die wichtigsten waren: Wovor hatte ich überhaupt Angst? Und was genau überforderte mich? Die Antwort war nur ein einziges Wort: Verantwortung. Von einem auf den anderen Moment war ich die Hälfte der Woche allein für meine Tochter verantwortlich. Das war ich früher zwar auch – Anna und ich arbeiteten beide seit Avas Geburt in Teilzeit, und ich nahm sechs Monate Elternzeit –, aber morgens und abends war Mama immer verfügbar, was häufig dazu führte, dass ich mein Pflichtgefühl abgab wie eine Jacke an der Garderobe. Mit Ava spielen, Quatsch machen, ihr Geschichten vor- lesen, kuscheln, trösten, kochen, waschen, das machte ich natürlich alles. Aber nachts aufstehen, wenn Ava schrie (das tat sie oft), mit ihr zum Arzt gehen, zu Hause bleiben, wenn sie krank war, da duckte ich mich oft weg. Ich stellte es nie infrage. Anna schon. Verantwortung – dieses Wort hing vor mir in der Luft und vibrierte. Und nun hatte ich die größte, die es überhaupt geben konnte.
  Es gab nicht den einen Tag der Erleuchtung, es war ein Prozess, und ist es eigentlich immer noch, ein Herantasten, wie in dem Kinderbuch „Jim Knopf und der Scheinriese“. Mit jedem Schritt, den ich auf meine Ängste zuging, wurden sie ein Stück kleiner. Die Schlaglöcher in der Straße vor mir kamen in immer größeren Abständen auf mich zu und waren mit der Zeit nicht mehr ganz so tief. Ich schaue nach vorn und sehe die Trennung inzwischen als Geschenk, so paradox das auch klingen mag. Aber allen geht es inzwischen besser als vorher: Ava, Anna und auch mir. Durch die Trennung bin ich mir selbst ein Stück näher- gekommen und vor allem auch meiner Tochter. Wir verbringen zwar nur noch die Hälfte der Zeit miteinander, dafür doppelt so intensiv. Wir kochen zusammen, Ava hilft beim Haushalt (staub- saugen), ich schneide und lackiere ihre Nägel, kämme ihr Haar (kein Ziepen!), flechte Zöpfe, baue Höhlen, schiebe Plüsch durch die Gegend und streichle ihre kleinen Füße zum Einschlafen. Natürlich mache auch immer noch viel Quatsch mit ihr, aber ich bin auch in den Momenten da, in denen es schwierig und unangenehm werden kann. Ich setze ihr Grenzen, obwohl das nicht immer einfach war, denn in unserer Zeit möchte ich natürlich, dass Ava vor allem fröhlich ist.
  Heute geht es mir gut. Ich führe eine tolle Partnerschaft mit einer tollen Frau und schaffe es sogar, die Zeit zu genießen, wenn Ava nicht bei mir ist. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Mal ehrlich: Wie sehr wünschen sich Eltern wenigstens einen Abend im Monat ohne Kind, nur für sich allein? So gesehen habe ich das Beste aus zwei Welten: Ich bin Vater und habe Freizeit.
  Neulich rief mich Anna an, weil Ava mich vermisste. Ob ich Lust hätte, vorbeizukommen. Unsere Wege sind kurz, wir wohnen nur 700 Meter auseinander. Wir legen zwar fest, wann unsere Tochter bei wem ist, aber wir sind flexibel und schaffen es, Zeit zu dritt zu verbringen. Manchmal essen wir gemeinsam Mittag oder Abendbrot. Auch an Avas Geburtstagen und Weihnachten sehen wir uns. Nicht weil wir müssen. Wir wollen. Letztes Jahr gab es sogar ein großes Patchwork-Weih- nachten. Dafür bin ich dankbar. Wir sind eine Familie, immer noch. Nur eben anders.


Wir haben noch so viel Zeit gemeinsam

Mein Coach hat mal etwas zu mir gesagt, das mir sehr geholfen hat: Anna und ich seien zwar ge- trennt, aber unsere Tochter ist es nicht – von keinem von uns. Ein schöner Gedanke. Wir haben noch so viel Zeit gemeinsam. Ich werde Ava bei- bringen, wie sie auf zwei Fingern pfeift, sich selbst die Schnürsenkel bindet und ein Lagerfeuer entzündet. Ich möchte sie begeistern, für Natur, Sport, Literatur und mich begeistern lassen von Dingen, die sie entdeckt. Selbst für Ballett. Irgendwann werden wir über Werte reden, über Leidenschaft, Ehrlichkeit und die Relevanz von Achselfürzen. Ich werde ihr beibringen, was immer möglich sein wird, und mich zurückziehen bei den Lektionen, die nur das Leben lehren kann. Ich werde niemals müde werden, meiner Tochter zu sagen, wieder und wieder und wieder, damit sie niemals auch nur eine Sekunde daran zweifelt, dass ich sie liebe und dass sie das schönste Mädchen der Welt ist, ganz genau so, wie sie ist. Ich werde da sein, wenn der Kampf mit ihrem Körper beginnt. Und dem Liebeskummer. Wenn ihr irgendein dummer Junge (oder Mädchen) nicht aus dem Kopf geht. Ava soll alles ausprobieren im Leben, und scheitern soll sie auch, um zu erfahren, was es heißt, über sich hinauszuwachsen. Sie wird wissen, dass ich immer da bin, um sie aufzurichten, und dass ich sie feiern werde, mit Konfetti und Raketen, für alles, was sie auf die Beine stellt. Küssen werde ich sie. Jeden. Einzelnen. Tag. Und aufmerksam zuhören werde ich und keine Hoffnungen in etwas legen, worüber mein Kind kein Wort verliert. Ich werde geduldig sein, Vertrauen haben, ich werde Ava fest in den Arm nehmen, wenn sie es am meisten braucht, und los- lassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Wir werden singen, tanzen, lachen und Zitronenkuchen backen. Mit Zuckerguss und bunten Streuseln.





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