OFFEN FÜR ALLES


Dieser Mann ist als aktiver Formel-1-Pilot dauernd verglichen worden – mit seinem Vater, dem Finnen Keke Rosberg, der 1982 ebenfalls Weltmeister in der Formel 1 wurde; natürlich mit Michael Schumacher, mit dem er bei Mercedes von 2010 bis 2012 in einem Team fuhr; und mit allen anderen Rivalen ohnehin. Als Rennfahrer wurde Nico Rosberg gemessen an Zehntelsekunden, an seinen Erfolgen und an seinen Niederlagen. Wieso gerade dem Scheitern ein enormes Potenzial innewohnt und inwieweit ihm das geholfen hat, Formel-1-Weltmeister zu werden, das und vieles mehr verrät der 37-Jährige in diesem Exklusivinterview. Ein offenes Gespräch über den Rücktritt auf dem Höhepunkt seiner Karriere, über den Druck, immer wieder performen zu müssen, und über die Rollen, die wir alle manchmal spielen. Und es geht darin auch um die Herausforderung, sich neu zu erfinden, um Verletzlichkeit und letztlich um den Sinn des Lebens.


Nico, du warst seinerzeit einer der fittesten Fahrer in der Formel 1. Stimmt es eigentlich, dass du Kraft- training und Denksport miteinander kombiniert und „Memory“ mit Liege- stützen verbunden hast?
Im Rennsport geht es auch darum, schnell zu reagieren. Was ich beim Fahren sehe und spüre, wird umgewandelt in Reaktion. Ich muss mir bei jedem Durchgang immer neu merken, was, wann und wo es passiert ist, um im nächsten Durchlauf besser zu werden. Die Herausforderung besteht also darin, bei einer hohen körperlichen Anstrengung ein gutes Gedächtnis zu haben. Es ist wirklich schwer, dieses Zusammenspiel zu trainieren, und deshalb war ich kreativ.

Wie viele Liegestütze kriegst du denn heute noch hin?
Da geht gar nichts mehr. Ich habe bestimmt seit 6 Jahren keinen einzigen Liegestütz mehr absolviert. Ich mache nur noch Sport, der mir Spaß bringt. Tennis ist mein Ding.

Wann hast du das letzte Mal deinen Bauch eingezogen?
Das war vor etwa 4 Monaten bei einem Fotoshooting.

Bei der Fußball-WM in Katar vergoldete Lionel Messi seine Karriere mit dem Titel, im Anschluss zog er sich aus der Nationalmannschaft zurück. Erinnert dich das an deinen Rücktritt, nachdem du 2016 deinen Titel geholt hattest? Ja klar, obwohl Messi ja noch im Club spielt. Das ist schon was anderes. Vermutlich ist der Cut nicht so extrem, wie ich ihn für mich erlebt habe. Es fiel mir sehr schwer, meine Rennfahrerkarriere komplett an den Nagel zu hängen.

Aus welchen Gründen?
In gewisser Weise habe ich meine Identität aufgegeben. Alles in meinem Leben war Racing: meine Mechaniker, meine Ingenieure, meine Teamkollegen bis hin zum sozialen Umfeld. Das alles auf einen Schlag auf null zu stellen, war ein Schock für mein System. Dazu kam die Sucht nach Anerkennung und Erfolg. Und Ungewissheit, denn zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, was als Nächstes kommen würde.

Es gibt gefallene Helden – Stars, die den rechtzeitigen Absprung verpasst haben.
Das ist etwas, das ich gerne vermeiden wollte, wovor ich Angst hatte: dass ich irgend- wann nicht mehr gut genug bin und mich kein Team mehr haben will. Ich wollte gerne selbst bestimmen, wann ich die Karriere beende, und das lieber zu früh als zu spät. Am Ende war es richtig, auf dem Höhepunkt abzutreten – so kann ich die Formel-1-Zeit in schöner Erinnerung behalten.

Erzähle uns bitte von dem Moment, als klar war, dass du deine Karriere beendest.
Das war im Cockpit, am Ende meines letzten Rennens auf dem Yas Marina Circuit in Abu Dhabi, beim Überqueren der Ziellinie. Als sicher war, dass ich Weltmeister bin. Ein sehr intensiver Moment. So einen Adrenalinschub hatte ich bis dahin noch nie, und den werde ich im Leben auch nicht wieder bekommen. Deshalb war klar: Mehr geht nicht, es ist perfekt. Ende.

Wie war es, sich beruflich danach neu zu erfinden?
Das war auch nicht leicht. Ich hatte mich nie gefragt, welche Leidenschaften sonst noch so da sind. Es gab immer nur das nächste Rennen. Außerdem musste ich erst akzeptieren, wieder unten anzufangen. In der Formel 1 bin ich vorher ganz oben gewesen – mein Rennteam hatte ein Budget von 300 Millionen im Jahr, es hatte 1500 Angestellte, ich war auf Augenhöhe mit dem CEO. Ich würde heute noch gern überall direkt als Welt- meister an den Start gehen.

Hast du einen Rat für Leute, die neu anfangen möchten?
Es ist gut, sich mit so vielen Menschen wie nur möglich auszutauschen. Mir hat zum Beispiel Dieter Zetsche sehr geholfen, der ehemalige CEO von Mercedes. Er hat mir gezeigt, wie wir die Mobilität verbessern und nachhaltiger machen können, und das hat mich total begeistert. Ich habe daraufhin zum Beispiel mit dem Greentech-Festival ein eigenes Event zum Thema Nachhaltigkeit ins Leben gerufen. Darüber hinaus war ich bei „Die Höhle der Löwen“ als Investor dabei und habe in Start-ups investiert. Auf die Weise habe ich nach und nach meinen Weg als Nachhaltigkeitsunternehmer gefunden.

Kannst du loslassen, auch mal die Kontrolle abgeben?
Es ist eine Schwäche von mir, dass ich manchmal gegen- über Menschen, die mit mir zusammenarbeiten, mein Vertrauen nicht gleich zeigen kann. Es braucht eine Zeit, mich wirklich zu überzeugen. Das ist nicht gerade ideal, da müsste ich etwas offener sein.

Wie gehst du persönlich mit Rückschlägen um?
Ich habe 10 Jahre lang mit ei- nem Psychologen gearbeitet, in den Rennpausen, etwa alle 2 Tage für je 2 Stunden. Das war härter als jedes Workout. Dabei habe ich eine Menge ge- lernt, unter anderem, meine Gefühle zu akzeptieren. Und dass im Versagen die größte Möglichkeit liegt zu wachsen.

Also haben Niederlagen dich noch stärker gemacht?
Ein Beispiel: Ich bin 4 Jahre lang gegen Lewis Hamilton gefahren, die ersten 3 davon hat er mich immer besiegt. Nachdem Lewis wieder mal ein Rennen gewonnen hatte, habe ich mich den ganzen Tag in meinem Hotelzimmer eingeschlossen und darüber nachgedacht. Niederlagen tun weh, aber daraus habe ich am Ende Motivation gezogen und mir gesagt: jetzt erst recht!

Und was passierte dann?
Ich gewann 7 Rennen in Folge und wurde Weltmeister.

Dein Vater Keke war auch Rennfahrer, und auch er hat den WM-Titel in der Formel 1 geholt. Als Sohn misst man sich oft an seinem Vater, um sich zu beweisen. Bestimmt war das nicht immer leicht.
Der Druck war schon früh da. Wenn ich als 10-Jähriger an Kartrennen teilnahm, haben die anderen Jungs natürlich mitbekommen, wer ich bin. Dann hieß es, dass der Sohn vom Rosberg mitfährt und dass der mit Sicherheit nichts kann, dass sie den auf jeden Fall wegputzen würden. Der Fokus war früh auf mich ge- richtet, auch in den Medien. Oft wurde ich dann mit dem Besten der Welt verglichen.

Und dabei konntest du nur verlieren, stimmt’s?
Ja, denn wenn ich nicht jedes Qualifying gewann, dann war ich schon nicht so gut wie der Beste der Welt. Gleichzeitig war das jedoch auch ein gutes Training für später. Andere kommen in die Formel 1 und sind geschockt wegen des Medienrummels. Ich kannte das alles, das war ein Vorteil.

Welche Erwartungen hatte dein Vater damals an dich? Mein Vater erwartete von seinem Sohn, dass er anpackt und alles gibt, nicht nur im Rennsport, sondern auch in der Schule. Ich hatte bei ihm schon einen gewissen Druck. Schließlich wollte ich seine Anerkennung erlangen, ich wollte, dass er stolz auf mich ist. Und das habe ich auch meistens gespürt, wenn ich Vollgas gegeben und Erfolge eingefahren habe – ob nun Rennsiege oder gute Noten.

Zweimal kam es bislang in der Formel 1 vor, dass zwei Generationen in Folge den Titel gewannen. Das Triple steht noch aus. Welche deiner beiden Töchter holt es?
Vor Kurzem bin ich das erste Mal mit den beiden Gokart gefahren. Die Kleine saß auf meinem Schoß, weil sie noch nicht selbst fahren durfte, und hat gebrüllt: schneller, schneller, schneller! Sie ist eine richtige Speed-Queen. Mein Talent für die Hände- Augen-Koordination hat sie eher nicht abbekommen.

Und deine ältere Tochter?
Ihre Rundenzeit konnten wir mit einem Kalender messen. Sie war eher gemütlich unterwegs. Am Ende hat sie dann geweint, weil sie aufs Fahren eigentlich keine Lust hatte, sich aber nicht getraut hatte, es mir zu erzählen. Sie wollte mir eine Freude machen.

Kinder sind in der Lage, ihre Verletzlichkeit zu zeigen, Erwachsene dagegen haben oft ein Problem damit.
Es ist ja auch extrem schwer, diese Seite von sich zu zeigen. Aber es ist so wichtig, seinen Mut zusammenzunehmen. Wenn wir uns verletzlich zeigen, kann die Maske, die wir aufhaben, fallen. Das ist so eine Erleichterung und sorgt für innere Zufriedenheit.

Hast du in deiner Karriere eine Rolle gespielt?
Ja, leider. Rennfahrer sollen ja Machos sein, gefühllose, unzerbrechliche Maschinen. Ich war damals nicht mutig genug, meine Verletzlichkeit zu zeigen. Auch heute bin ich das noch nicht immer. Aber ich bin auf dem Weg dorthin. Zumindest erkenne ich jetzt, wann ich schauspielere.

Hast du ein Beispiel dafür?
Das letzte Rennen vor dem WM-Titel. Kai Ebel von RTL hält mir 5 Minuten vor dem Start sein Mikro unter die Nase und fragt mich, ob ich mich auf das Rennen freue. Na klar, sage ich, es wird ein fantastisches Rennen.

Und was war die Wahrheit?
Dass ich riesige Angst hatte. Mein Lebenstraum stand da auf dem Spiel. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, ob ich je wieder die Chance haben würde, Formel-1-Weltmeister zu werden. Würde ich in den nächsten anderthalb Stunden auch nur den kleinsten Fehler machen – etwa beim Start die Kupplung zu schnell gehen lassen oder mich in der Kurve leicht verbremsen –, wäre der Traum ausgeträumt gewesen. Vorbei, Ende, aus. Aber ich tat so, als wäre ich absolut cool.

Und der Zuschauer dachte: Guck mal den Rosberg an, der macht das einfach – und ich habe Schiss, morgen ein Gehaltsgespräch zu führen.
Genau so ist es. Die Zuschauer sehen die Boliden, die mit 300 km/h durch die Stadt fliegen, und wir Rennfahrer sehen aus wie außerirdische Gladiatoren. Aber Formel-1- Fahrer sind auch normale Menschen mit Emotionen. Mein Vater war ein harter Kerl, ein Draufgänger. Gern wäre ich mehr wie er, habe ich ihm neulich mal gesagt.

Wie hat er reagiert?
Er fand es lustig, weil er gern mehr wäre wie ich – sensibel, nachdenklich. Es war ein sehr emotionaler Moment. So was kann passieren, wenn man offen ist, seine Gefühle zeigt.

Hast du auch im Rennzirkus diese Erfahrung gemacht?
Ja, als ich noch keinen einzigen Rennsieg in der Formel 1 hatte und mein Teamkollege der 7-malige Weltmeister war: Michael Schumacher. Wenn der durch die Tür kam, war es, als würde der liebe Gott den Raum betreten. Alle hörten auf zu arbeiten, schauten ihn an und waren still. Wir saßen beim Strategie-Meeting, und obwohl ich in diesem Rennen in der Startaufstellung mal vorne war, fing der Ingenieur mit Michael an. Okay. Dann kam ich mit meiner Strategie, aber der Ingenieur sprach wieder nur mit Michael. Über meine Strategie, obwohl ich daneben saß! Weil es Michael war. Er hatte ganz vergessen, dass ich auch anwesend war.

Wie ging es dann weiter? Bei diesem Rennen habe ich mehr Punkte als Michael geholt. Vor der Heimreise bin ich zum Ingenieur gegangen und habe gesagt: „Du hast es vielleicht nicht gemerkt, aber beim Strategie-Meeting hast du nur mit Michael geredet, das hat mir wehgetan, da ich dadurch keine Anerkennung von dir bekommen habe. Ich wäre superdankbar, wenn du mir die gleiche Aufmerksamkeit schenken würdest, und glaube, dass ich die auch verdient habe.“ Meine Lippen zitterten vor Angst. Aber ich hatte beim nächsten Rennen auch seine Aufmerksamkeit.

Wie gut kennt Nico Rosberg eigentlich Nico Rosberg?
Er kennt ihn auf jeden Fall besser als durchschnittlich. Ich habe sehr viel investiert, um mich kennenzulernen. Dazu zählte auch die Arbeit mit einem Psychologen.

Aber braucht man einen Psychologen nicht erst dann, wenn Probleme da sind?
Es muss gar kein Psychologe sein, sondern es fängt damit an, dass man sich mit seinen Themen und mit sich selbst auseinandersetzt. Da helfen auch schon entsprechende Bücher oder Gespräche mit Freunden, die einen wirklich gut kennen. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, wenn man antritt, sich selbst besser kennenzulernen.

Was ist zurzeit für dich die größte Herausforderung?
Den Sinn im Leben zu finden. Gerade habe ich Rosberg Philanthropies gegründet, eine Wohltätigkeitsorganisation. Es ist mir wichtig, positive Beiträge zu leisten, weil ich überzeugt davon bin, dass ich darin meinen Sinn finden werde. Deswegen investiere ich da meine Zeit, mein Geld und meine Energie. Und bei dem Rennen ist die Ziellinie noch längst nicht in Sicht.






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